25. April 2024 Die Masse lebt

Vergleichbar?

Die meisten Zahlen sind zwar ohnehin vielen Menschen bekannt, aber dennoch ist es – zumindest für mich – überraschend, wie die Schwerpunkte einer Kultur- und Bildungspolitik gesehen und gesetzt werden. Sonntagsreden und Montagshandeln hat sich dafür als Terminus technicus eingebürgert.

Regelsatz nach ALG II für Kinder unter 14 Jahren für Sport- und Freizeitveranstaltungen im Monat: 2,78 €Georg Rammer, Kinder haben Rechte – auf Armut?, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 2008, Heft 7, S. 11.
Kosten für einen einstündigen Instrumentalunterricht in der Woche an einer Musikschule oder einem privaten Musikerzieher im Monat: 80,– €

Regelsatz nach ALG II für Kinder unter 14 Jahren für Essen und Trinken am Tag: 2,62 € (956,30 € p.a.)Georg Rammer, Kinder haben Rechte – auf Armut?, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 2008, Heft 7, S. 11.
Studiengebühren in Niedersachen pro Semester: 500,– € (1.000,– € p.a.)

Regelsatz nach ALG II für Kinder unter 14 Jahren für Schuhe im Jahr: 43,85 €
Kosten für eine Klassenfahrt, 10. Jahrgangstufe Gesamtschule in Berlin Zehlendorf: ca. 450,– €

Täglicher Fernseh-, Internet und Computerspielkonsum eines Zehnjährigen in Norddeutschland aus bildungsferner Einwandererfamilie am Wochenende in Minuten: 340

Täglicher Fernseh-, Internet und Computerspielkonsum eines Zehnjährigen in Süddeutschland aus deutscher Familie, in der mindestens ein Elternteil Abitur hat, am Wochenende in Minuten: 54Die Welt in Zahlen, in: Brand eins Wirtschaftsmagazin, 2008, Heft 5, S. 10.

Da stimmt weder das Gefüge, noch scheinen mir die Weichen für eine zukünftige Bildungspolitik richtig gesetzt. Die Frage ist aber vor allem, was kann man tun, damit sich da etwas wirklich zum Besseren ändert.

Wenn man mal den Faktor Instrumentalunterricht anschaut, so entwickln sich an verschiedenen Stellen gewisse Initiativen wie "Jedem Kind ein Instrument" (Nordrhein-Westfalen). Wie weit das gediehen ist, kann man dort nachlesen. Irgendwie ist die Bundeskulturstiftung mit involviert. Dennoch bleibt die generelle politische Initiative außen vor. Kinder von ALG-II-Empfänger bleiben von Gebühren befreit, für die andern läuft es auf 20 bis maximal 35 Euro hinaus. Aber es ist ja nicht nur eine Frage des Geldes, so wichtig dieser Faktor weiterhin bleibt. Denn das Umfeld muss auch mitspielen und die Förderung angenommen werden.

Anteil der Zehnjährigen, die für das Gymnasium empfohlen werden und deren Eltern maximal einen Hauptschulabschluss haben, in Prozent: 4

Anteil der Zehnjährigen, die für das Gymnasium empfohlen werden und von denen mindestens ein Elternteil Abitur hat, in Prozent: 72Die Welt in Zahlen, in: Brand eins Wirtschaftsmagazin, 2008, Heft 5, S. 10.

Besser, man macht etwas, bevor man gar nichts macht. Das ist schon richtig. Aber meines Erachtens kann dies am Ende auch zu einer bloßen Kosmetikübung werden: Ein nettes Feigenblatt, um weitergehende Strukturänderungen abzuwehren.

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8 Kommentare

  1. Diese Zahlen machen mich
    Diese Zahlen machen mich stinksauer. Und ich frage mich allmählich, was wirklich hinter dieser Strukturänderungs-Vermeidung steckt. Geld ist natürlich ein Faktor – aber eben nur ein einzelner. Ich zumindest bekomme so langsam den Eindruck, daß Chancengleichheit politisch nicht einmal mehr angestrebt wird. Weil Menschen, die sowieso keine Chancen haben (und das auch wissen), leichter zu verwalten sind?

  2. Karan, ich weiß nicht mal,

    Karan, ich weiß nicht mal, ob die leichter zu verwalten sind. Ich bin mir sogar ziemlich sicher, dass Verwalten ein ziemlich öde und aufreibende Arbeit ist.

    Mir zeigen die Zahlen vor allem den Grad der Zerüttung an. Denn wie anders kann man verstehen, dass vielen diese Klassenfahrt beispielsweise derartig viel Wert ist. Hochgerechnet sind es ja pro Klasse dann 12.000 Euro. Und das für etwas, was sich dann als zwischenmenschliche "Prozesse"-Aktion mit Erholungscharakter vorstellt und von den Schüler gewünscht wird (wohl einem Großteil).

    Es soll ja auch nichts gegen Klassenfahrten gesagt sein, aber vielleicht gingen da auch andere Wege. Den Hammer hat ein Vater losgelassen, der sagte, die Jugendlichen bräuchten soundsoviel Taschengeld am Tag, damit sie sich was zum Trinken kaufen könnten – und er dachte da wohl vor allem an Bars und sonstige Etablissements. 2,62 für Essen und Trinken gegen 10 Euro unter Spaniens Sonne zusätzlich zur Halbpension.

  3. Diese Zahlen sind sehr
    Diese Zahlen sind sehr deutlich und frustrierend, da geb ich Dir recht. Der Berliner Bezirk, in dem ich lebe, hat zumindest bei den Klassenfahrten seine Ziele den Möglichkeiten angepasst – 130 Euro pro Kind und Woche, kein Taschengeld, nahes Brandenburger Umland. Musik gibts in städtischen Musikschulen, der Sportveren kostet pro Kind und Monat 16 Euro – alles zuviel bei ALG II, aber machbar bei knapp über Armutsgrenze. Bildung ist kein Grundrecht in D., sondern ein Privileg, für das es obendrein keine Lobby gibt.

  4. Welcher Bezirk ist denn das?

    Welcher Bezirk ist denn das? Ich muss gestehen, was sich hier vor Ort abspielt an Kosten, ist irrwitzig. Was man damit machen könnte. Und noch mit der Hälfte.

    Ich glaube übrigens, dass es auch hier einige Haushalte überfordert, vor allem auch dann, wenn es sich um mehrere Kinder handelt. Das türmt sich dann ja hoch.

    Ich glaube, man hat es nicht begriffen und will es einfach nicht begreifen, dass näherungsweise ähnliche Ausbildungschancen ein Gewinn für alle wäre – nicht nur ökonomisch.

    Mit der Lobby weiß ich nicht, am ehesten sehe ich da noch eine Art Gegenlobby, der es ganz gut so passt wie es läuft. Solange die eigene Schäfchen im Trockenen sind, was soll man da sagen?

    Gracian wüsste es wohl.

  5. Prenzlauer Berg.
    Prenzlauer Berg. Elternschaft ist hier gemischt, aber die Wohlhabenden nehmen zu, man merkt das an Kleinigkeiten.

    An eine Gegenlobby will ich lieber nicht glauben, hier im Bezirk hat einfach niemand Lust, irgendetwas zu ändern, Verantwortung zu übernehmen, irgendeine Sache längerfristig zu planen, also länger als Wahlperioden und Zuständigkeiten. Es gibt einen Haufen von Fehlentscheidungen, die für sich genommen nachvollziehbar sind, aber im Zusammenhang die Misere verschärfen.

    Was man tun kann? Gegen diese einzelnen Fehlentscheidungen kämpfen, aber das Aufräumen ist immer schwierig. Hier sollte zum Beispiel ein mit EU-Mitteln geförderter Umbau einer verfrüht geschlossenen Grundschule (die Kinder waren schon geboren, die die Schule gebraucht hätten, aber sie waren eben noch nicht schulpflichtig, und der Jahresetat zählte) zu einer großen Musikschule wieder rückgängig gemacht werden, womit man dann die beiden “Guten” (Eltern und Musikliebhaber) gegeneinander aufgebracht hat- und es war juristisch blödsinnig, das EU-Geld hätte zurückgezahlt werden müssen, der Bezirk sagte: WIr haben es versucht, jetzt gibt es eben erstmal keine Schule. Sehr lustig. Gleichzeitig sollten stellenlose Gymnasiallehrer in der Grundschule eingesetzt werden, um mehr Kinder unterrichten zu können – auch dagegen muss man dann vorgehen. Mehr Lehrer gibt es immer noch nicht. Und so weiter. Es ist mühsam.

  6. Absolut mühsam. Und gerade

    Absolut mühsam. Und gerade die doch wohl ziemlich genau voraussehbaren Fehlentscheidungen sind erst recht nervend. Und Zöllner, soweit ich es weiß, interessiert nur die Superhochschule.

    Vor Ort ist alles Käse und jede Schule hat ihr spezielles Problem, keine ist wie die andere, alle snd sich am Wandeln.

    Siehste, und ich dachte, Prenzlauer Berg, das wäre das neue Elternland in Berlin. Aber man hat ja auch nicht nur Kinder sondern auch sich selbst zu bewirtschaften.

    So ein Kampf zwischen Musikschule und Schule ist dann in der Tat ein völlig unsinnig herbeigerufenes Problem, aber wohl eines welches immer noch dazu geeignet ist, möglicherweise Reste von Solidarität und Initiative zu torpedieren. Ganz große Scheiße.

  7. Na, warten wir mal, bis der
    Na, warten wir mal, bis der Kerosinzuschlag bekannt gegeben wird. Ich möchte wetten, wir landen noch oberhalb der 500 Euronen für die o.g. “Klassenfahrt” an den spanischen Discostrand.

    Hauptsache chillen. Lernen ist ja sowas von Nebensache…
    …meinen die Lehrer.
    (Vielen der Schüler hätte eine Fahrt nach z.B. Usedom ja gereicht.)
    Übrigens: Die Klos an dieser Schule kann man nicht betreten und die Abwässer sickern ab und zu durch die Decke der unteren Klassenräume. Das nur mal so nebenbei…

  8. Da kannst du wohl

    Da kannst du wohl glauben.

    Obwohl dei Schüler wohl nicht gerade gegen so eine Reise waren; aber die anwesenden Eltern waren auch nicht unbedingt dagegen. Was ja so problematisch ist, chillen könnten die auch woanders in der Nähe. Zum Bildungsideal der bürgerlichen Welt gehört allerdings die sog. Bildungsreise – muss ja nicht gleich was Göthesches seyn.

    Nun wäre eine Bildungsreise nach Rom oder Kairo oder Paris oder Wien oder Helsinki oder Leningrad oder Amsterdam auch nicht billiger. Und in der Kürze wohl auch nicht sinnvoll und alles andere als Spaßgebärend.

    Eine Nachbarklasse fliegt ja auch nach Lloret de Mar (oder wie das heißt). Ich war nur mal einen halben Tag in Girona, was wirklich was war – ich werd’ das nie vergessen. Aber da war ich auch schon 38 Jahre.

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