19. März 2024 Die Masse lebt

Musikindustrie schreibt Briefe

Heute soll offenbar ein “offener Brief” der Musikindustrie an die Kanzlerin Angela Merkel in einigen überregionalen Blättern erschienen sein. Ein Bild davon zeigt heise.de.

Heute soll offenbar ein “offener Brief” der Musikindustrie an die Kanzlerin Angela Merkel in einigen überregionalen Blättern erschienen sein. Ein Bild davon zeigt heise.de. Über den Inhalt lässt sich natürlich streiten, vielleicht nicht so oder so und mit historischem Keks von verpassten Chancen argumentierend. Denn die Gegenargumente sind nur Scheinargumente. Die Musikindustrie selbst wird als Übeltäter ihres eigenen Versagens ohnehin nie aus diesem Dilemma herauskommen. Musikindustriekritik hat Tradition, aber sie hat fast keine Folgen in Richtung eines veränderten Hör- oder Konsum- oder Aneignungsverhaltens.

Dieter Gorny hat die Kanzlerin im Visier Die Frage ist vor allem doch, warum schreibt sie einen offenen Brief? Ein Grund mag sein, dass ein gewöhnlicher Brief die Kanzlerin wegen des Poststreiks womöglich gar nicht erreichen könnte. Obwohl dies ja wesentlich besser zur Arbeitsweise der Musikindustrie passen würde. Lobbyarbeit macht besser verdeckt. Die Portoaufgebühr der Anzeige dürfte jedenfalls vergleichsweise hoch sein. Was kann aber sonst ein Grund sein für diesen Brief? Dass man nach außen offen sein Leid klagt? Wen will man damit beeindrucken? Nach eigenen Forschungen der Musikindustrie habe sich doch ergeben, dass “moralische Appelle” nichts brächten.

Eine weitere Frage wäre, sind diejenigen, die da unterschrieben haben, wirklich Vertreter der Musikindustrie oder gar jene Nachwuchskünstler, deren Zukunft angeblich auf dem Spiel stehe. Prof. Wolfgang Rihm aus Karlsruhe hat da unterschrieben – wohl eher aus Solidarität oder kann mal jemand schauen, wie gut Wolfgang Rihms Werke im Netz getauscht werden; ich nutze ja leider keine Tauschbörsen. Andere aus dem Bereich der neuen E-Musik wären da Aribert Reimann, Peter Eötvös, Rodion Shchedrin und Lothar Voigtländer. Was mich wirklich alles sehr wundert ist, dass diese Herren wohl längst vergessen haben, wie erst vor wenigen Jahren der Verband der Phonographischen Wirtschaft, der jetzt ja Bundesverband Musikindustrie um GEMA-Anteile auf Tonträger gestritten hat, nicht um sie zu erhöhen wie man weiß.

Was aber ganz merkwürdig ist, ist die folgende Schlussfolgerung:

Geistiges Eigentum ist aber – so hat es der Chef des gleichnamigen Bilderimperiums Mark Getty einmal formuliert – das Öl des 21. Jahrhunderts. Dahinter verbirgt sich die Erkenntnis, dass die Kultur- und Kreativwirtschaft schon heute und vor allem in Zukunft Motor für Wachstum und Wohlstand ist. Ohne Musik und Hörbücher bräuchten wir keine iPods, ohne Filme keine Flachbildfernseher, ohne Breitbandinhalte keine schnellen Internetzugänge.

Öl des 21. Jahrhunderts? Bildimperium als Zukunft? Ohne Peter Wackel gäbe es keine iPods oder ganz am Ende, ohne Breitbandinhalte (wie Tauschbörsen) keine schnellen Internetzugänge. Sind womöglich sogar die Tauschbörsen dann nicht Teil des Wachstumsmotors? Das ist schon alles sehr absurd.

Aber problematisch ist auch das Kulturverständnis, das sich dahinter verbirgt. Kunst ist gar nicht Kunst, sondern einfach Mittel zum Zweck des Wirtschaftswachstums. Sie hat keine andere Existenzgrundlage. Aus den Mündern der Musikindustrie das zu hören, verwundert mich nicht (die muss so denken, so gäbe es sie ja gar nicht). Aber dass Wolfgang Rihm und Peter Eötvös da zustimmen, erstaunt dann schon.

So spielt man die erste GeigeDen schwarzen Peter dann den milliardenschweren Telekommunikationsunternehmen zuzuspielen ist schon ungeschickt (ist doch auch Wirtschaftswachstum und zu begrüßen, Arbeitsplätze wurden geschaffen etc. pp.) – auch ist mir nicht klar, ob die Musikindustrie die Sache so legalisieren will oder dies nur als Schadenskompensation versteht. Aber an sich ist der Vorwurf nämlich korrekt, er müsste nur bis zum Ende gedacht werden. Die zusätzlichen Urheberrechtsabgaben, die diese Unternehmen dann entrichten müssten, würde selbstverständlich auf die Nutzer umgelegt werden müssen. An sich und konsequent zum Ende gedacht, liefe es auf eine Art ÖlMusik/Film/Buchflatrate hinaus.

Für Leute wie mich wäre es natürlich ideal, für Unternehmen, die mit dem Musikverkauf ihr Geschäft machen, gäbe es allerdings erhebliche Probleme. Aber nu ist er erst mal raus der “Offene Brief” der Musikindustrie; ich persönlich hätte mich mehr gefreut, wenn der Bundesverband Musikindustrie meine nicht offene Email von letzter Woche beantwortet hätte. Aber man soll das ja nicht persönlich nehmen.

UPDATE: Jetzt gibt es sogar Filmchen dazu. Fettes Brot sind wirklich gut, Monrose sind spaßig, nichts ist synchron.

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