19. März 2024 Die Masse lebt

Enzyklopädie der Neuen Musik: „Gutmenschentremolo“

Es sei „einwandfrei politisch korrektes Gutmenschentremolo,“ schreibt Eleonore Büning über die Transit-Performance des Ensemble Kaleidoskop bei den Donaueschinger Musiktagen in ihrer Kolumne des Netzmagazins takt1.de in der „society of music“. Das wundert, denn eigentlich empfand sie die Aufführung ziemlich daneben. Zur Sache sagt sie: „Danach steigt das Ensemble Kaleidoskop aus, flüchtlingsmäßig verkleidet. Baut sich auf in einer Reihe, guckt uns betroffen an, ob wir mit eingeschlafenen Füßen wohl auch inzwischen ein bisschen flüchtlingsmäßige Betroffenheit entwickelt haben und spielt Memory Spaces von Slavnics. Kollektive Erkundung eines Tones und seiner Obertöne. Reine Stimmung, reinen Herzens.“ Um dann den Schluss zu ziehen: „Einwandfrei politisch korrektes Gutmenschentremolo.“

Gutmenschentremolo, das: Wortschöpfung von Eleonore Büning in der „society of music“. Erste außermusikalische Verwendung in der WELTWOCHE durch Wolfram Knorr im Jahr 2014.

Die Wortwahl dieser Kritik Bünings wirkt einigermaßen erstaunlich. Denn die Phrase vom „politisch-korrekten Gutmenschen“ ist längst zur geflügelten und diskreditierenden Phrase abgedroschen. Das hat einmal vor geraumer Zeit Mario Sixtus schön aufgelistet und ausgehebelt. Die Liste der Texte, die Mario Sixtus aufzählt, ist lang und am dürftigen Ende stehen die rechtspopulistischen Udo Ulfkotte und Michael Brückner, die ihre Publikation mit einem Klappentext zieren: „Die Diktatur der Gutmenschen. Jetzt reicht’s: Schluss mit dem politisch korrekten Wahnsinn!“

Frau Büning schreibt weiter: „Hätten echte Flüchtlinge (es waren ja aber keine echten dabei) diese flüchtlingssimulierende Hochkulturperformance (hätten sie sie miterlebt) eventuell für nützlich gehalten? Oder für puren Zynismus? Musik ist eben doch politisch,“ sagt sie. Vor allem eben dieses Gutmenschentremolo, das aber ziemlich doof sei.

Es ist eine Sache, dass der Begriff und die Phrase vom Gutmenschen nicht mehr zu retten ist, er als Schimpfwort sich etabliert hat, aber genau deshalb und genau deshalb, weil der Kontext die Musik macht, wie Eleonore Büning doch weiter oben schrieb („Ein Ton ist ein Ton ist ein Ton. Nichts weiter. Erst wenn ein zweiter dazu kommt, vielleicht noch ein dritter Ton oder ein Puls oder Beat oder Wort, kann daraus etwas werden. Erst der Kontext macht die Musik“), sollte man sich schon auch an die eigene Nase fassen und den sprachlichen Kontext wahrnehmen, den man selbst konstruiert.

„Gutmensch“ (ohne Tremolo) wurde bereits 2015 zum Unwort des Jahres erklärt. Das erläutert man in der Wikipedia so:

„Für das Jahr 2015 war die Begründung, dass im Zusammenhang mit dem Flüchtlingsthema insbesondere auch diejenigen beschimpft werden, die sich ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe oder gegen flüchtlingsfeindliche Angriffe in der Bundesrepublik Deutschland einsetzen. Die Wahl war beeinflusst durch das Flüchtlingsthema 2015. ‚Gutmensch‘ wurde gewählt, weil der Begriff Hilfsbereitschaft pauschal als naiv, dumm und weltfremd diffamiere. Die Kritik richte sich nicht nur gegen Rechtspopulisten, sondern auch gegen Journalisten auch von Leitmedien, die das Wort ‚Gutmensch‘ gebrauchen würden.“

Dieser Kontext nun ist es, der Bünings Verwendung doppelt unangemessen klingen lässt. Es sei denn, mal halte Büning eine doppelte Umdrehung eines verwerfenden Vorwurfs zugute. Dass sie also an Flüchtlings statt sich gegen diese Form der Inszenierung wende. Das wäre dann aber ebenso unschicklich wie die Inszenierung selbst an Flüchtlings statt. Mir ist es schleierhaft, warum Eleonore Büning auf diese falsche und diffamierende Metapher setzt. Ist es der misslungene Versuch einer politisch-inkorrekten Kritik?

Man kann verstehen, dass man diese ästhetische Aneignung und Umsetzung für missraten, für misslungen, für trivial oder für ideologisch-falsch hält. Man kann sich auch über die Programmheftsprache dazu aufregen. Man kann all dies machen und noch mehr. Man kann die Hände vor den Kopf schlagen und die Aktion dümmlich finden. Aber ist sie eine Form „politischen korrekten Gutmenschentremolos“?

Die Sache mit der Ungemütlichkeit

Viel präziser und souveräner ging der BadBlogOfMusick-Autor Alexander Strauch mit der Transit-Geschichte um: „Sich als Streicherkapelle als Flüchtlinge zu verkleiden ist ein interessanter Versuch, in die Haut des Heimatlosen zu schlüpfen. Dann allerdings 14 Musizierenden 10 Minuten beim Ausziehen der Flüchtlingsmäntel zuzusehen oder in Dmitri Kourliandski Maps of non-existent cities: Donaueschingen von den Sitzdecken vertrieben zu werden, erhöht nicht unbedingt die Erkenntnis über die Existenz von Flüchtlingen. Ich blieb einfach sitzen, überbrückte durch Handytippen jeden Verscheuchungsversuch. Um das Leben von Flüchtlingen zu verstehen, hilft es nicht, einen selbst zum Fliehenden zu machen.“ (Alexander Strauch: Donaueschinger Musiktage 2017/3: Substanz und Bezahlung)

Eigenartig ist andererseits, wie schnell die Assoziation zum Thema „Flüchtling“ überhaupt hergestellt wird. Der hat einen „Flüchtlingsmantel“ an, wird im LKW transportiert und verscheucht Menschen von ihren Armeematten – und spielt auf Musikinstrumenten? Im Prinzip sagt das alles doch wieder nur mehr über die Wahrnehmungweise des Publikums aus. Man geht mit Stereotypen auf Stereotypen aus. Für den Festivalleiter Björn Gottstein geht es dabei um die Herstellung anderer „Formen konzentrierten Hörens“ (gegenüber Deutschlandfunk Kultur). Und zu „Transit“ konkret: „Deswegen bin ich sehr glücklich über diese leicht malträtierende Publikumsführung in diesem Konzert ‚Transit‘.“ [Quelle: Deutschlandfunk Kultur] Das ist freilich irgendwie auch ein bisschen billig und erinnert an die Formulierung, die ich seit meiner Kindheit – und bis heute – im Zusammenhang mit „Neuer Musik“ hörte: „In der Neuen Musik gehe um die Veränderung/Erweiterung von Hörerwartungen.“

Simulation des Theaters als Realität

Kunst will Realität simulieren, hier will sie sie offenbar verdoppeln. In einem inszenatorischen Galopp aus Klischees. Und demnächst dann? Szenarien künstlicher Bestrahlung mit UV-Licht, mit Plutonium, mit künstlicher Folter, mit Plastiktüten über den Köpfen? Das hat nichts mit Gutmenschentremolo zu tun, sondern mit ästhetischem Scheitern und zwar gegenüber einem Kollektiv von Publikum, das damit überrollt wird – ungeachtet der Tatsache, dass ihm das Thema durchaus vertraut sein könnte und es aktionistischer Belehrungen dieser Art nicht bedarf. Schnell wird so etwas zu einer Bevormundung des Publikums, da hatte man früher den Begriff des „moralischen Zeigefingers“ für.

Was läuft da wirklich schief? Vor über 17 Jahren habe ich einmal über Christoph Schlingensiefs eine sinnreiche Aktion vor der Wiener Staatsoper geschrieben:

„Tom Stoppard sagte einmal, wenn man vom Fenster aus sehe, wie ein Unrecht geschehe, dann sei es das Nutzloseste, was man tun könne, ein Stück darüber zu schreiben,“ heißt es in Arthur C. Dantos Buch „Die Verklärung des Gewöhnlichen“ und Danto ergänzt: „Ich würde noch weiter gehen und sagen, dass etwas falsch daran ist, Stücke über die Art Unrecht zu schreiben, bei der wir eine Pflicht zum Eingreifen haben, da dies das Publikum genau in jene Art von Distanz versetzt, die der Begriff psychische Distanz beschreibt.“

Quasi wie unter dieser Maxime betritt Christoph Schlingensief in seinem Container-Theaterstück vor (!) der Wiener Staatsoper das Terrain der Kunst. Mit Asylantragsbewerbern wurde dort ein makaberes Schauspiel geboten, das offenbar Öffentlichkeit produzierte. Nach Big-Brother-Vorbild sperrte Schlingensief zehn Asylbewerber in einen Container und setzte sie der Außenwelt aus. Diese konnte per Telefon entscheiden, welcher Ausländer raus musste. Waren beim Einzug der Asylbewerber höchstens 200 Menschen anwesend, so stieg im Laufe der Produktion das öffentliche Interesse und kulminierte in der Befreiung der Asylbewerber aus dem Container – und zwar nicht durch Einsatz der staatlichen Organe, sondern durch die Donnerstagsdemonstranten gegen die Regierungsbeteiligung der FPÖ. Diese Form der Aktivierung unterscheidet sich vom medialen Big-Brother-Zwitter. Anstelle einer sich selbst simulierenden Medienshow werden politische Scheinbilder quasi de-simuliert. Dadurch wird das Theater vom Kopf auf die Füße gestellt.“ (Alles Theater, in nmz: 2000/07)

Druck der Intimität

Die Werkzeuge politischen Theaters sind vielfältig, aber sie sollten angemessene Formen wahren. So hat es auch Stefan Drees in seiner Kolumne „Vom Zwang zur Intimität“ in der Zeitschrift „Seiltanz“ (Ausgabe 14, April 2017, S. 44-45) formuliert: Es „wäre der Sache doch angemessener, das anwesende Publikum durch ästhetisch überzeugende und originelle Theaterkonzepte – klanglicher wie szenischer Art – zu involvieren. Wenn hierbei alles stimmt, sollte es auch keiner unnötigen Berührungen bedürfen … und auch Peinlichkeiten blieben dann aus.“ Zu etwas verhalten kann man sich doch nur, wenn man sich selbst dazu verhalten kann und nicht verhalten wird. Sonst erfolgt eben nur eine dürftige Depotenzierung von Souveränität.

Aber mit „Gutmenschentremolo“ selbst hat die Inszenierung oder der Klang des Solistenensembles Kaleidoskop wirklich nichts zu tun.


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