18. März 2024 Die Masse lebt

Unterschied von E- und U-Musik

Von vielen bestritten und als falsch oder überflüssig empfunden: Die Unterscheidung von E- und U-Musik, also von Ernst und Unterhaltung. Abrechnungstechnisch für die Urheber nicht unwesentlich, empfindet sie manch einer als lästig, grausam und überholt.

Die eine Ausfassung ist dem Wunsch, die andere der ökonomischen Realität geschuldet. In der Musikästhetik hält man unter Umständen ganz gerne daran fest, neigt dann das eine dem anderen zu und das anderem dem einen. Die größten Probleme zeigen sich da im und beim Jazz. Da weiß man nie so ganz genau, was was ist. Wenn man nicht dazu tanzen kann, ist es E, wenn doch, dann U.

Jetzt hatte ich einmal in der Redaktion des Onlinebereichs der neuen musikzeitung die Chance, das Thema ein für alle male zu erledigen. Und zwar ganz ohne Musik, nur durch zwei Bilder.

Scrennshot nmz.de (5.10.2017)
Scrennshot nmz.de (5.10.2017)

Links ein Szenenfoto aus einem Musical (Fame – in Kiel), rechts eines aus einem Singspiel von Mozart (Zauberflöte in Erfurt). Da wäre die Position der Geschlechter zueinander einmal schon eine ganz andere. Die Haltung und Spannung der Körper in der Situation ist ebenso eine ganz andere. In dem Singspiel aus dem 18. Jahrhundert etwas plump, patschig. Im Musical kommunikativ, spannend, leicht. Fast schon zu schwebend.

Nicht von ungefähr kommt nämlich ein weiteres Distinktionsmerkmal ins Spiel: Leicht und schwer und: hoch und niedrig (bezeichnenderweise nicht “tief”). Immerhin hatte Adorno noch leichtes Spiel damit, wenn er kategorienschwer schrieb:

“Der Begriff der leichten Musik liegt im Trüben der Selbstverständlichkeit. Daß jedem bekannt sei, was über ihn ergeht, wenn er unbedacht das Radio andreht, scheint von der Besinnung darüber zu befreien, was es ist.” 1Band 14: Dissonanzen. Einleitung in die Musiksoziologie: II. Leichte Musik. Theoder W. Adorno: Gesammelte Schriften, S. 11520 (vgl. GS 14, S. 199)

Doch das führt letztlich in die Irre, Adorno hat das 1932 schon mit etwas höherer Präzision gesehen. In seinem Aufsatz zur “gesellschaftlichen Lage der Musik” (so einen Text mit dieser Überschrift würde sich heute ja niemand mehr zu schreiben trauen) heißt es etwa:

“Andererseits enthält gerade die ›leichte‹ Musik, von der gegenwärtigen Gesellschaft geduldet, verachtet und benutzt gleich der Prostitution, mit der sie als ›leichtgeschürzt‹ nicht umsonst verglichen wird, Elemente, die wohl Triebbefriedigungen der heutigen Gesellschaft darstellen, deren offiziellen Ansprüchen aber widerstreiten und damit in gewissem Sinne die Gesellschaft transzendieren, der sie dienen.” 2Band 18: Musikalische Schriften V: Zur gesellschaftlichen Lage der Musik. Theoder W. Adorno: Gesammelte Schriften, S. 15531 (vgl. GS 18, S. 733-734)

Das mit dem Transzendieren darf man jetzt mal weniger ätherisch nehmen, denn deftig. Kürzer: In der leichten Musik geht es durchaus auch zur Sache. Und deswegen kann Adorno ziemlich dreist seinen späteren Kritikern in die Parade fahren, wenn er wenige Wort später ergänzt:

“Darum ist die Scheidung leichter und ernster Musik durch jene andere zu ersetzen, die die beiden Hälften der musikalischen Weltkugel gleichermaßen im Zeichen der Entfremdung sieht: Hälften eines Ganzen, das freilich durch deren Addition niemals rekonstruierbar wäre.” 3Band 18: Musikalische Schriften V: Zur gesellschaftlichen Lage der Musik. Theoder W. Adorno: Gesammelte Schriften, S. 15532. (vgl. GS 18, S. 734)

Besser kann man es fast nicht sagen, außer durch die beiden Szenenbilder oben. Um das eine Bild zum anderen verstehen zu können, benötigt man beide. Für sich wären beide Positionen schlechterdings negative Bilder aus zwei Sphären. Die Kombination erst schließt den Witz auf, der nötig ist, um beiden Bildern ihr Recht zu geben.


PS

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Fussnoten:

  • 1
    Band 14: Dissonanzen. Einleitung in die Musiksoziologie: II. Leichte Musik. Theoder W. Adorno: Gesammelte Schriften, S. 11520 (vgl. GS 14, S. 199)
  • 2
    Band 18: Musikalische Schriften V: Zur gesellschaftlichen Lage der Musik. Theoder W. Adorno: Gesammelte Schriften, S. 15531 (vgl. GS 18, S. 733-734)
  • 3
    Band 18: Musikalische Schriften V: Zur gesellschaftlichen Lage der Musik. Theoder W. Adorno: Gesammelte Schriften, S. 15532. (vgl. GS 18, S. 734)

Ein Kommentar

  1. diese definition versucht in fast künstlerischer art und weise eine sachliche frage zu behandeln, dabei vergisst der autor, wohl in unkenntnis moderner, zeitgenössischer “pop”kultur das sogenannte “U” Musik sowohl in ästhetik und auch in komplexität, komposition und konzeption durchaus auch der sogenannten “E” Musik in nichts nachstehen kann, darüberhinaus ist diese musik dennoch zugänglicher und zeitgemäßer als, ich würde kühn behaupten jegliche “E” Musik, die für viele menschen aus der zeit gefallen wirkt. ich bin überzeugt das die zukunft zeigen wird, das das ewige festhalten vieler musikprofis an der vermeintlich in intellektuelle überlegenden “E” Musik kompletter unsinn ist und dies und auch hoffentlich die hohen subventionen wegfallen werden! Hell Yeahhh!

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