19. April 2024 Die Masse lebt

Disziplinen und Disziplinierungen

Man redet und arbeitet mit einem Selbstverständnis von universitären Disziplinen, von Fakultäten und Fächern. Unterteilt das ganze in ein Angebot, das von Medizin über Physik zur Germanistik und Volkswirtschaftslehre reicht. Aber auch hier die Frage, warum? Dass etwas historisch sich so ausdifferenziert hat heißt ja nicht, das es richtig so ist.

Wie kann kann man denn überhaupt die Grenzen zwischen den Fächern ziehen und wodurch sind sie begründet? Warum überhaupt ist die Trennung so abstrakt? Auch in den schulischen Disziplinen? Wäre nicht eine andere Einteilung von mehr Vernunft getragen? Warum studiert man nicht Gehirn? Oder Bewegung? Oder Klang? Oder einfach Welt, Raum oder Zeit?

Nehmen wir mal die Volkswirtschaftslehre. Was genau ist denn Gegenstand dieses Faches? Der Makro-Ökonom Harald Uhlig sagt beispielsweise:

Volkswirtschaftslehre ist eine Schlüssel-Disziplin für viele andere Sozialwissenschaften, die von ihr Methoden und Erkenntnisse importieren. Zahlreiche Beispiele etwa aus der Soziologie, Politologie, Betriebswirtschaftslehre und der Demographie ließen sich anführen. … Nicht ohne Grund betrachten viele USUniversitäten daher ihre “economics departments” als Schlüssel zur Exzellenz. Harald Uhlig: Konzeptpapier für einen exzellenten Fachbereich der Volkswirtschaftslehre (“economics”) in Deutschland, hier als pdf.

Das kann man so sehen. Aber umgekehrt wird doch ebenso ein Schuh daraus. Das Fach Volkswirtschaftlehre ist meines Erachtens eher ein Resultat aus den Forschungsgrundlagen der anderen Fächer wie Mathematik, Soziologie und Massenpsychologie. Die Systembeschreibung das Faktischen wird andernfalls zur Grundlage des Beherrschungswillen der Analysen. Auf solches Beharren in der unreflektierten Selbstverständlichkeit zielte einmal Max Horkheimes Unterschied von kritischer und traditioneller Theorie. “Der Gelehrte und seine Wissenschaft sind in den gesellschaftlichen Apparat eingespannt, ihre Leitung ist ein Moment der Selbsterhaltung, der fortwährenden Reproduktion des Bestehenden, gleichviel, was sie sich selbst für einen Reim darauf machen. … Der Schein der Selbständigkeit von Arbeitsprozessen, deren Verlauf sich aus einem inneren Wesen ihres Gegenstandes herleiten soll, entspricht der scheinhaften Freiheit der Wirtschaftsubjekte in der bürgerlichen Gesellschaft. Sie glauben nach individuellen Entschlüssen zu handeln, während sie noch in ihren kompliziertesten Kalkulationen Exponenten des unübersichtlichen gesellschaftlichen Mechanismus sind.” Max Horkheimer, Traditionelle und kritische Theorie, Frankfurt/M. 1986, S. 18.

Das aus der Antike stammende Ideal der sieben freien Künste ist dabei doch viel tiefer gelegt und damit an sich doch offener. Rhetorik, Grammatik und Dialektik auf der einen Seite, Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie auf der anderen Seite. Luhmann hat darauf einmal hingewiesen.

Einem heutigen Bildungsplaner würde die merkwürdige Unvollständigkeit dieses Fachkatalogs auffallen. Bei näherem Zusehen erscheint jedoch eine eindrucksvolle, geschlossene Konzeption, der man heute nichts annähernd Gleichwertiges entgegenzusetzen hätte. Im Trivium geht es um Kommunikation, im Quadrivium geht es um die Welt. … Das Schema ist so stark generalisiert, daß es auf porfessionelle Sonderausbildungen, etwa zum Theologen, zum Juristen, zum Arzt, keine Rücksicht nimmt. Es verzichtet auch auf ein direktes Hineincopieren von Unterschieden der sichtbaren, erfahrbaren Welt in den Schulunterricht. Es nutzt die Möglichkeiten der Distanz, die die Ausdifferenzierung von Schulen bietet. Es ist als didaktisches, nicht als edukatives Schema gedacht. Niklas Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, Frankfurt/M. 1998, S. 951.

Und damit steht man wieder vor der Frage, was also überhaupt Gegenstand der schulischen oder universitären “Bildung” sein soll. Und freilich auch dieses Schema ist nicht abgelöst zu denken. Alles, wie wir fühlen, denken und leben, ist schon Resultat eines Bildungsprozesses, der sich mit zunehmendem persönlichen Alter, aber auch als Altern der Gesellschaft selbst zum Block des Faktischen kristallisiert. Das ist auch etwas, was bei dieser ganzen Diskussion um die Bedeutung der neuen Medien, unter welchem Stichwort auch immer, fast vollkommen und grundsätzlich ausgeblendet wird. Die dort geübte Selbstreflexion, meinetwegen des Bloggens, setzt ebenso auf eine Freiheit der Äußerungen, die weder Technik noch Gruppe so leisten. Eher das Gegenteil wird im überwiegenden Maße stimmen. Verknüpfte Machtentfaltung durch Kommunikationstechniken scheint mir eher zu einer Selbstentmächtigung zu führen.

Aber das alles ist jetzt ein bisschen früh für eine festere Grundbestimmung. Eine lose Idee nur, jetzt.

Man redet und arbeitet mit einem Selbstverständnis von universitären Disziplinen, von Fakultäten und Fächern. Unterteilt das ganze in ein Angebot, das von Medizin über Physik zur Germanistik und Volkswirtschaftslehre reicht. Aber auch hier die Frage, warum? Dass etwas historisch sich so ausdifferenziert hat heißt ja nicht, das es richtig so ist.

Wie kann kann man denn überhaupt die Grenzen zwischen den Fächern ziehen und wodurch sind sie begründet? Warum überhaupt ist die Trennung so abstrakt? Auch in den schulischen Disziplinen? Wäre nicht eine andere Einteilung von mehr Vernunft getragen? Warum studiert man nicht Gehirn? Oder Bewegung? Oder Klang? Oder einfach Welt, Raum oder Zeit?

Nehmen wir mal die Volkswirtschaftslehre. Was genau ist denn Gegenstand dieses Faches? Der Makro-Ökonom Harald Uhlig sagt beispielsweise:

Volkswirtschaftslehre ist eine Schlüssel-Disziplin für viele andere Sozialwissenschaften, die von ihr Methoden und Erkenntnisse importieren. Zahlreiche Beispiele etwa aus der Soziologie, Politologie, Betriebswirtschaftslehre und der Demographie ließen sich anführen. … Nicht ohne Grund betrachten viele USUniversitäten daher ihre “economics departments” als Schlüssel zur Exzellenz. Harald Uhlig: Konzeptpapier für einen exzellenten Fachbereich der Volkswirtschaftslehre (“economics”) in Deutschland, hier als pdf.

Das kann man so sehen. Aber umgekehrt wird doch ebenso ein Schuh daraus. Das Fach Volkswirtschaftlehre ist meines Erachtens eher ein Resultat aus den Forschungsgrundlagen der anderen Fächer wie Mathematik, Soziologie und Massenpsychologie. Die Systembeschreibung das Faktischen wird andernfalls zur Grundlage des Beherrschungswillen der Analysen. Auf solches Beharren in der unreflektierten Selbstverständlichkeit zielte einmal Max Horkheimes Unterschied von kritischer und traditioneller Theorie. “Der Gelehrte und seine Wissenschaft sind in den gesellschaftlichen Apparat eingespannt, ihre Leitung ist ein Moment der Selbsterhaltung, der fortwährenden Reproduktion des Bestehenden, gleichviel, was sie sich selbst für einen Reim darauf machen. … Der Schein der Selbständigkeit von Arbeitsprozessen, deren Verlauf sich aus einem inneren Wesen ihres Gegenstandes herleiten soll, entspricht der scheinhaften Freiheit der Wirtschaftsubjekte in der bürgerlichen Gesellschaft. Sie glauben nach individuellen Entschlüssen zu handeln, während sie noch in ihren kompliziertesten Kalkulationen Exponenten des unübersichtlichen gesellschaftlichen Mechanismus sind.” Max Horkheimer, Traditionelle und kritische Theorie, Frankfurt/M. 1986, S. 18.

Das aus der Antike stammende Ideal der sieben freien Künste ist dabei doch viel tiefer gelegt und damit an sich doch offener. Rhetorik, Grammatik und Dialektik auf der einen Seite, Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie auf der anderen Seite. Luhmann hat darauf einmal hingewiesen.

Einem heutigen Bildungsplaner würde die merkwürdige Unvollständigkeit dieses Fachkatalogs auffallen. Bei näherem Zusehen erscheint jedoch eine eindrucksvolle, geschlossene Konzeption, der man heute nichts annähernd Gleichwertiges entgegenzusetzen hätte. Im Trivium geht es um Kommunikation, im Quadrivium geht es um die Welt. … Das Schema ist so stark generalisiert, daß es auf porfessionelle Sonderausbildungen, etwa zum Theologen, zum Juristen, zum Arzt, keine Rücksicht nimmt. Es verzichtet auch auf ein direktes Hineincopieren von Unterschieden der sichtbaren, erfahrbaren Welt in den Schulunterricht. Es nutzt die Möglichkeiten der Distanz, die die Ausdifferenzierung von Schulen bietet. Es ist als didaktisches, nicht als edukatives Schema gedacht. Niklas Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, Frankfurt/M. 1998, S. 951.

Und damit steht man wieder vor der Frage, was also überhaupt Gegenstand der schulischen oder universitären “Bildung” sein soll. Und freilich auch dieses Schema ist nicht abgelöst zu denken. Alles, wie wir fühlen, denken und leben, ist schon Resultat eines Bildungsprozesses, der sich mit zunehmendem persönlichen Alter, aber auch als Altern der Gesellschaft selbst zum Block des Faktischen kristallisiert. Das ist auch etwas, was bei dieser ganzen Diskussion um die Bedeutung der neuen Medien, unter welchem Stichwort auch immer, fast vollkommen und grundsätzlich ausgeblendet wird. Die dort geübte Selbstreflexion, meinetwegen des Bloggens, setzt ebenso auf eine Freiheit der Äußerungen, die weder Technik noch Gruppe so leisten. Eher das Gegenteil wird im überwiegenden Maße stimmen. Verknüpfte Machtentfaltung durch Kommunikationstechniken scheint mir eher zu einer Selbstentmächtigung zu führen.

Aber das alles ist jetzt ein bisschen früh für eine festere Grundbestimmung. Eine lose Idee nur, jetzt.

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2 Kommentare

  1. Interessantes Thema, das uns
    Interessantes Thema, das uns auch immer mal wieder beschäftigt, und uns – wir wissen ein wenig ungerechtfertigt – über “das akademische Bildungssystem” an sich wettern lässt.

    Wir schlagen deswegen unverblümt vor:

    1. Die vollständige Abschaffung jeglicher, auch noch so wohlgemeint rückblickendvorgedachten allgemeingültigen, in jedem Einzelfall abzusitzenden Fächerkanones.

    2. Die Auflösung jeglicher altersdeterminierten Klassenverbände. Stattdessen allein interessengetriebene zeitlich befristete weil zielgerichtete, themenorientierte Projekteinheiten.

    3. Alle Projekteinheiten sind die kleinsten Bausteine einer per Schwarmintelligenz zusammengesammelten mindestens dreidimensionalen, vieldeutigen Master-Mindmap, wobei die einzelnen Knotenpunkte sozusagen Wissensinseln bilden, die frei mit allen anderen Wissensinseln verknüft und individuell sequenziert werden können.

    4. Das Maß der Bildung stellt sich allein in der Masse an erfahrenen Wissensinseln dar.

    5. Dadurch geht jedes Kind seinen eigenen, lustgesteuerten und dadurch impliziert realitätsbezogenen (!) Weg durch ein Wissensmeer, indem es rein impulsgesteuert eigentlich nur das macht, wozu es Lust hat.

    6. Die einzigen standardmäßig zu vermittelnden, ganz einfachen und praktischen Werkzeuge sind: Selbstorganisation, Selbstreflexion sowie einfachste Werkzeuge des Projektmanagements, wie z.B. MTA (Meilensteintrendanalyse).

    7. Wir glauben, dass dadurch sowohl jedes einzelne Kind extrem effizient (denn wir Wissen, Lebenszeit ist sehr wertvoll und rar) genau das lernt, was es im Leben, zu seinem Seelenheil und zu der eigenen Befreiung braucht und nicht mehr, als auch die Menschheit an sich alles lernt, was es zu seinem glücklichen Überleben benötigt.

    8. Das Spiel wird zum höchsten Lehrprinzip erhoben.

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