27. April 2024 Die Masse lebt

Kulturaustausch – mediterran

Gestern blieb es hier etwas stumm, denn eine Redaktionssitzung forderte mich heraus. Sie wurde typischerweise zu einer Ein-Tages-Klausur. Ertragreich, streitvoll, jedoch gerne konstruktiv. Da ich gestern bester böser Laune war, stellte ich wieder mal fast jedes Thema infrage. Irgendwann kam es zum Komplex EU-Kultur und Kulturaustausch. Ein heftiger Schlagabtausch zog sich dann hin und her. Als Feind institutioneller Kulturabwicklung verwies ich auf organische Bewegungen und “meinen” Begriff von Kulturaustausch, bei dem ich nicht den Tausch von Kultur als Ware im Mittelpunkt sehen möchte, sondern den – etwas sozialromantisch – der Herzen. Das mag angesichts der momentanen Entwicklungen (etwas) blauäugig sein.

Woher kommt dieses Vertrauen? Denn mindestens drei Formen eines unseligen wörtlichen Austausches von Kultur fielen mir spontan ein. Denjenigen zwischen 1933 und 1945 in Deutschland, dann den weichen und schleichenden durch den amerikanischen Globalplayer mit Hollywood und Fast-Food und schließlich die Große chinesische sogenannte Kulturrevolution. Nein, mein Erinnerung schwelgte zurück zu einem der schönsten Texte der Geschichtswissenschaft und Kulturerforschung. Braudels, Dubys und Aymards Essays über “Die Welt des Mittelmeeres.” Gleich im Vorwort öffnete mir Braudel den ganzen Schatz der Welt um das Mittelmeer.

In diesem Buch fahren Schiffe übers Meer; die Wellen nehmen ihren Gesang auf; Weinbauern an der genuesischen Reviera gehen die abendlichen Hügel hinab; in der Provence und in Griechenland werden die Früchte von den Olivenbäumen geschlagen; Fischer legen ihre Netze in der stillen Lagune von Venedig oder auf den Kanälen von Dscherba aus; Schiffbauer zimmern Kähne, die gleichen heute wie gestern … Und noch einmal sind wir, wenn wir ihnen zuschauen, aus der Zeit.

Braudel, Duby, Aymard: Die Welt des Mittelmeeres – Zur Geschichte und Geographie kultureller Lebensformen, Frankfurt 1987, S. 7.

Kann man so ein wissenschaftliches Buch beginnen. Man kann, man darf, man sollte, wenn es geht. Mit einem Augenaufschlag führt Braudel in die Sinnlichkeit des Raumes ein. Bald schon hat er die erste Überraschung bereit. Mich erstaunte es jedenfalls augenblicklich. All das hätte ich wissen können, aber ich wusste es nicht.

Denn lange schon ist das Mittelmeer Schnittpunkt verschiedener Welten. Seit Jahrtausenden strömt hier alles zusammen, wirbelt die Geschichte durcheinander und bereichert sie: Menschen, Lasttiere, Wagen, Waren, Schiffe, Ideen, Religionen, Lebenspraktiken. Und Pflanzen. Man glaubt, es seien Mittelmeergewächse. Aber abgesehen vom Ölbaum, vom Wein und vom Getreide — autochthonen, jedenfalls schon früh hier heimischen Pflanzen — stammen die meisten aus fernen Gegenden. Käme Herodot, der Vater der Geschichtsschreibung, der im 5. Jahrhundert vor Christus gelebt hat, heute als einer der ungezählten Touristen hierher zurück, er würde eine Verblüffung nach der anderen erleben. Ich stelle ihn mir vor, schreibt Lucien Febvre, »wie er seine Reise ums östliche Mittelmeer nochmals unternimmt. Wie würde er sich wundern! Diese schimmernden Früchte in den kleinen dunkelgrünen Bäumen, Orangen, Zitronen, Mandarinen, er könnte sich nicht erinnern, sie zu seinen Lebzeiten gesehen zu haben. Wahrhaftig, sie stammen aus dem Fernen Osten, die Araber haben sie eingeführt. Und diese ganz absonderlichen, stacheligen Pflanzen, blütenbestandene Pflanzenschäfte eigentlich, die merkwürdige Namen tragen, Kaktus, Agave, Aloe, und der Feigenbaum — auch sie hat er nie zuvor zu Gesicht bekommen. Wahrhaftig, sie stammen aus Amerika. Und die großen Bäume mit hellem Blattwerk haben zwar einen griechischen Namen: Eukalyptus, aber noch nie ist ihm ein solches Gewächs begegnet. Du liebe Zeit, sie stammen aus Australien. Auch die Zypressen sind ihm unbekannt, ihre Heimat ist Persien. Das ist freilich erst das Augenscheinlichste. Welche Überraschungen erwarten ihn, wenn er auch nur eine Kleinigkeit ißt — ob Tomaten, die aus Peru, oder Auberginen, die aus Indien stammen, so wie der Nelkenpfeffer aus Guayana und der Mais aus Mexiko, und der Reis ist ein Geschenk der Araber, ganz zu schweigen von den Bohnen und der Kartoffel, auch dem Pfirsich, der ursprünglich aus chinesischem Gebirge über den Iran zu uns kam, und schließlich dem Tabak«. Dennoch ist das alles zum Kennzeichen der Landschaft des Mittelmeers geworden: »Die Riviera ohne Orangenbäume, die Toskana ohne Zypressen, eine Marktauslage ohne Paprika … wäre das für uns heute nicht völlig unbegreiflich?« (Lucien Febvre, Annales, XII, 29)

Und wenn man ein Verzeichnis der mediterranen Bevölkerungen erstellte, der Menschen, die an den Gestaden des Mittelmeers geboren wurden oder Nachkommen derer sind, die einst hier zur See fuhren oder die terrassenartigen Haine und Felder bebauten, sowie der Neuankömmlinge, die allmählich in diesen Raum eindrangen, gewönne man nicht den gleichen Eindruck, den die Vielfalt seiner Pflanzen und Früchte in uns hervorruft?

Braudel, Duby, Aymard: Die Welt des Mittelmeeres – Zur Geschichte und Geographie kultureller Lebensformen, Frankfurt 1987, S. 8 f.

Ja, das täte es wohl. Ebenso erstaunt mich immer wieder der Blick in historische Atlanten. Was da an Völkern gewandert ist, wo sich Kulturen geradezu durchdrangen, selten friedlich, doch auch das kam vor.

Wie also kommt es, dass einerseits Europa zusammenwächst (Frage: Was wächst da überhaupt zusammen?) und warum wird Kulturaustausch dabei zu einem Problem? Wo stehen sich Assimilation, Integration und Ausgrenzung immer wieder im Weg? Das sind nur Ansätze zu Fragenkomplexen in diesem Themenbereich. Daneben dann Fragen wie: Warum, rein musikkulturell, klappt dergleichen an anderen Stellen der Welt nicht?

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5 Kommentare

  1. Feind institutioneller

    Feind institutioneller Kulturabwicklung…
    hihi, das gefällt mir. das gefällt mir sehr gut.

    ich will ja keinen stunk machen, aber auf mac sehe ich auf hufis seite keinerlei fottos. herr lemming, vorschläge?

  2. Jetzt sehe ich auch, dass da

    Jetzt sehe ich auch, dass da die links und rechts orientierten Bilder im Rahmen nicht zu sehen sind. Aber nur im Internetexplorer 5 und unter Mac OS9. Sonst habe ich keine Probleme. Mit Safari, Mozilla, Firefox, Explorer unter Windows 98 oder Mac OSX ist “alles” prima. Ist mir schleierhaft, zumal per Kontextmenü das Bild ja heruntergeladen werden kann. Irgendwas überdeckt das Bild. Das kann nur am Stylesheet hängen.

  3. das is aber nur bei deinem

    das is aber nur bei deinem blog. jezz hab’ ich hier geschwind suse-linux auf irgendeinem meiner pcs installiert und da is alles in butter.
    auf dem mac hab ich das fännomehn mit internet explorer und mit opera. sonst is alles im lack. die schatten um die bilder? sind die im bild selbst oder wiew machst du das?
    ich habe übrigens erst vorhin entdeckt, dass du regelmäßig in dein fotoblog postest. das hab’ ich verdammich nochmal nicht mitbekommen. ab sofort guck ich da täglich rein. versprochen. wenn ich nicht vorher inner klapse lande?!

  4. Ich verstehe davon kaum was,

    Ich verstehe davon kaum was, aber es kann nur dieser Scheiß-CSS sein. Hab ich eh von woanders übernommen. Dat sieht da so aus, für rechts eben anders noch:

    /* floating pictures in itembody */
    /* plovouci obrazky v clanku */
    .leftbox {
    float:left;
    background: url(shadowAlpha.png) no-repeat bottom right;
    margin: 15px 15px 10px 0px;line-height:0px;
    }
    .leftbox img {
    display: block;
    position: relative;
    background-color: #fff;
    border: 1px solid #a9a9a9;
    margin: -5px 5px 5px -5px;
    padding: 4px;
    line-height:0px;
    }

    Ich hab’ testeshalber mal den zweiten Teil deaktiviert, hatte aber keine Wirkung. Vielleicht weiß hier wirklich irgendwo einer, ob es daran liegen kann.

  5. Zurück zum Thema:

    Zurück zum Thema: Kulturaustausch ist kein “Problem”, sondern eine Chance. Und warum sollte man diese nicht fördern – auch institutionell! Das heißt nichts anderes als dass öffentliche Gelder auch mal für was Gutes ausgegeben werden, und dass diejenigen, die sich um Kulturaustausch kümmern, eine gewisse Sicherheit in der Planung haben.
    Eine ganz andere Frage ist, welche Ziele Kulturaustausch verfolgt, und welches die Kriterien für einen gelungenen Kulturaustausch sind. Zum Beispiel: Echte Begegnung zwischen Menschen unterschiedlicher Nationalität oder Kultur. Zunahme des Verständnisses für die Andersartigkeit des “anderen”. Neugier auf diese Andersartigkeit.
    Kulturaustausch kann rein künstlerisch bereichern, indem ein Künstler neue Eindrücke und Ideen aufnimmt. Darüber hinaus kann eine Annäherung mithilfe der Kultur auch ganz andere Probleme bekämpfen, nämlich Fremdenhass, soziale Konflikte in “multikulturellen Zonen” etc.
    Dazu fällt mir noch viel mehr ein…

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